Nun ist der „Gesundheitsminister der Herzen“ (so viele Medien) endgültig dort angekommen, wo er von seiner Kompetenz her nach Meinung Vieler hingehört: im Bundesgesundheitsministerium. Was wohl jetzt mit den Talkshows passiert? Müssen die jetzt, wie einige Nachbarn im Gespräch kalauerten, alle „dicht“ machen? Wohl kaum. Das endlos-Talken ist dort ja Programm und Geschäftsmodell. Ein herrschaftsfreier Diskursraum sind sie jedenfalls nicht, diese Shows. Zumeist handelt es sich bei ihnen eher um Statement-Veranstaltungen, in denen die Personen darum ringen, im „Diskursk(r)ampf“ die Oberhand zu behalten. Unerquicklich das Ganze und eine Farce für jeden Verteidiger eines ergebnisoffenen Diskurses.
Nun, Prof. Dr. Karl Lauterbach, ehemals CDU-Mitglied, dann über den Umweg SPD jetzt im BMG gelandet, wird in der nächsten Zeit andere Dinge zu tun haben, als bei Anne Will & Co. die Talkbank zu drücken. Sein Vorgänger, Dr. Jens Spahn, hat fast 50 Gesetze durchs Parlament gedrückt und ca. 150 Verordnungen an ihm vorbei ins Leben gesetzt. Darunter wird es der neue Minister kaum machen. Allerdings hat die FDP ja dafür gesorgt, dass das nicht mehr so schnell am Bundestag vorbei geht. Formal jedenfalls. Ob das auch das enorme Tempo drosselt, mit dem bereits vor Corona manche (umfangreichen) Gesetzesentwürfe durch‘s hohe Haus gepeitscht wurden? In einer „marktkonformen“ und – so mag man hinzufügen – Corona-gestressten Demokratie mögen hier erhebliche Zweifel aufkommen.
Die Agenda der gesundheits- und pflegepolitischen Vereinbarungen im mit Eifer, Schweiß und Selfies zusammengepackten Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und der FDP jedenfalls ist ambitioniert und berstend voll. Allerdings steht da nichts drin, was nicht bereits in den verschiedenen Policy-Foren bereits diskutiert werden würde. Politik ist bekanntlich die „Kunst des Möglichen“ und nicht für (pathologische, so meinte jedenfalls Helmut Schmidt) „Visionen“ oder gar „Visionäre“ geeignet. Doch das ist ein anderes Thema und soll hier nicht weiter vertieft werden. Wichtiger ist im Moment wohl Corona und da zählen frei nach Hr. Schmidt wieder „Sekundärtugenden“: Ordnung, Fleiß, Disziplin, wie einst auf einem legendären Die-Ärzte-T-Shirt verewigt.
Corona, so Karl Lauterbach in der heutigen BILD (11.12.21), ist in vier Jahren noch nicht vorbei. Das ist ein erstaunliches Statement. Denn noch vor einigen Tagen titelte die TAZ kaum ironisch, sondern überschwänglich zur Kür des neuen Gesundheitsministers: „Corona kann einpacken. Lauterbach wird Gesundheitsminister.“ Ist er jetzt vor dieser Aufgabe zurückgeschreckt? Die Titelzeile der „Kinder-FAZ“, so bezeichnete einst der konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza etwas abfällig die (nun) Berliner Postille, formulierte ja einen hohen Anspruch, den der Gepriesene durch seine zahllosen Talkshow-Auftritte gewissermaßen provoziert hat. Liefert der Mann nun, fragen sich Viele? Er relativiert: vier Jahre Zeit mindestens.
Dabei ist die Erkenntnis von Lauterbach, auf der Titelseite der Blödzeitung (Manfred Krug) groß aufgemacht, gar nicht so blöd, auch wenn sie – gerade nach der Ankündigung einer stufenweiten Ausweitung der Impfpflicht auf die ganze Bevölkerung – dem einen oder der anderen (wohl zurecht) als Drohung vorkommen mag. Denn dass Covid-19 nicht mehr verschwindet, pfiffen viele Akteure schon im Frühsommer diesen Jahres von den Dächern. Z.B. der Vice-CEO von Pfizer (der vorher bei der FDA war, der Arzneimittelbehörde der USA). Natürlich hat der ökonomische Interessen, aber die These selbst hat auch das CDC, die oberste Seuchebehörde der USA, der Sache nach bestätigt: Covid-19 bzw. die diversen „Mutanten“ werden so schnell nicht mehr verschwinden. Auch ein Blick in die Epidemiologie-Lehrbücher enthüllt schnell die Hypothese, dass eine Herdenimmunität (egal ob per Impfung oder „natürlich“) bei stark mutierenden Viren kaum zu erwarten ist. (Ich sprach bereits an anderer Stelle davon) Nun ist die These – quasi – offiziell. Wenn auch mit einer angekündigten Impflicht, die freilich diesen Winter kaum etwas nützen wird. Aber wen juckt das schon? Logik ist doch sowas von überholt.
Dennoch will Lauterbach die Omikron-Variante wegboostern. Schon nach drei Monaten ließe sich boostern, meint der Biontech-Chef Sahir. Nun, denn, man kommt sich mittlerweile vor, die Talkshow-Gemütlichkeit ist einer medialen Kakophonie gewichen. Schaut man recht willkürlich in einen der unendlichen Newsticker von Online-Redaktionen, hier der FR-Online, muss man schon ziemlich seine Gedanken ordnen, um nicht irre zu werden. Da wird Lauterbach zitiert, mit 30 Millionen Impfungen bis Weihnachten – was hat er da intus, fragt man sich, als er das Statement zum Besten gab ? – das Virus wegzuspritzen. Nebenbei wird dann auch in Konkretisierung der Bild-Zeitungszeile von ihm „berichtet“ bzw. „gezwitschert“ – rausgekotzt wäre wohl treffender – dass ein vollständiger Impfsschutz gegen Omikron nur bei drei Spritzen gegeben wäre. Alles andere wäre Nonsens.
Mit einem mal sind alle zwei Mal geimpften plötzlich wieder „Ungeimpfte“ – so schnell kann‘s gehen! Völlig egal, dass im gleichen News-Ticker, manche Studien (aus Südafrika – die können’s ja nicht wissen, denkt der überhebliche deutsche Wissenschaftler) bzw. hiesige Wissenschaftlerinnen darauf hinweisen, dass noch gar nicht klar sei, ob Omikron auch doppelt Geimpfte mit Symptomen befalle, während Lauterbach selbst eine britische Studie ins Spiel bringt, die zeige, dass dem nicht so sei, sondern der Schutz vor Omikron nicht mehr mehr als 35 Prozent sei. Sicherheitshalber impfen, das ist die Devise. Prävention als seuchenpolitischer Blindflug – auch eine Strategie. Die Blame-Shifting-Strategie kolossalen Politikversagens kann dann schön aufrechterhalten werden: dran schuld sind die Ungeimpften!
Was für eine Kakophonie! Soll der ganze Wahnsinn, denn um einen solchen handelt es sich hier, die ganze Zeit weiter gehen? Der sagt dies, der sagt das und alle sind sich dann doch einig, dass doch geboostert werden sollte. Kann jemand diesen völlig wahnsinnig machenden Ticker-Strom, dieses völlig irre machende Gezwitschere mal abstellen? Oder wenigstens anhalten? Mit wem, glauben denn die dort am „Diskurs“ teilnehmenden, unterhalten die sich noch? Hört da noch einer ernsthaft zu? Auch der bekannte Virologe Christian Drosten sagt mal Hüh‘ und manchmal ‚Hott‘. Wer soll da noch einen klaren Kopf behalten, wenn die sogenannten Experten dies auch nicht mehr geordnet bekommen? Na, dann doch lieber alle drei Monate impfen. Hat bei der Influenza ja auch prima geklappt (Vorsicht: Ironie!). Wo ist die überhaupt hin? Blöde Frage, setzen: 6!
Also geht der ganze Irrsinn weiter. Keine ruhige, sachliche Auseinandersetzung mit den vergangenen zwei Jahren. Aus der Vergangenheit lernen? Wo kommen wir denn dahin! Das geht nicht. Immerhin haben die Pharma-Investoren ihre Spekulationsrenditen zu verlieren. Impfen, impfen, impfen, das ist Moses und die Propheten, möchte man einen bekannten, aber hier im Lande nicht sehr gut gelittenen deutschen Philosophen paraphrasieren. Bloß: es hört keiner zu. Die mediale Kakophonie ist ohrenbetäubend. Kann mal einer den Lärm abstellen? Dabei ist doch spätestens seit Guantanamo bekannt, dass laute Musik, eben Kakophonie, sich prächtig für Folter eignet. Wem das zu viel ist, dem kann geholfen werden: dann „informieren wir uns halt zu Tode“, wie es der US-amerikanische Zukunftskritiker Neil Postman (der hieß wirklich so) mal umschrieben hat. Im Endeffekt nicht besser.
Hoffen wir nicht, dass diese derzeitige Kakophonie die nächsten vier Jahre so weiter geht. Ob die wissenschaftliche Beratung, die Karl Lauterbach sich scheinbar aneignen möchte, da viel weiterhilft? Dass der Drosten dabei ist, wundert einen kaum, aber dass Lauterbach den Bonner Virologen Hendrik Streeck auch anhören will, ist ein – wenn auch sehr kleiner – Lichtblick. Denn immerhin hat der mal gesagt, man müsse lernen, mit dem Virus zu leben. Ob die Verschärfung und Beschleunigung der Impfstrategie eine solche Form ist, mit ihm zu leben? Ganze vier Jahre lang?
Nun gut, das Virus wird nicht wieder verschwinden. Aber wollen die Regierenden ernsthaft alle drei Monate die Gesellschaft weiter polarisieren? Mit ihrer argumentativen Kakophonie werden sie jedenfalls die Menschen nicht überzeugen, sondern bestenfalls – oder sollte man sagen schlimmstenfalls? – zermürben. Management by Dauerbeschallung. Sinnvoll wäre es doch, wenn Lauterbach seinen alten Spezi aus Kölner Uni-Tagen, den Corona-Maßnahmen-Kritiker Prof. Dr. Matthias Schrappe auch mal anhört, oder? Immerhin ist der kein Impfgegner, aber er hat – so kann man lesen – ein bisschen mehr Ahnung von der Seucheneindämmung. Man wird ja noch einmal fragen dürfen…allein, daraus wird wohl nix. Wie Major Tom ist der Minister wohl „völlig losgelöst“.
Da war die Zeit der Talkshows, in denen sich der neue Bundesgesundheitsminister noch als (frei nach Ulrich. Beck) unorganisierte Unverantwortlichkeit herumgetrieben hat, deutlich entspannter. Man konnte, wenn man die Kakophonie nicht mehr ertragen mochte, wie einst Peter Lustig einfach „abschalten“. Damit ist es nunmehr vorbei: organisierte Hochverantwortlichkeit zieht ins BMG ein. Schluss mit L(l)ustig. Nun wird selbst Twitter zum Regierungskanal! Das hatte ja nun ein sonst nicht sehr geschätzter Politiker von der anderen Seite des Atlantiks stilbildend vorgemacht. Es spricht nicht für die Qualität des „herrschaftsfreien Diskurses“ – jenes Märchen für das sich doch bitte still verhaltende Staatsvolk, das sich ein gewisser Jürgen Habermas einst (damals noch als Utopie) ausgedacht hatte – dass die mediale Kakophonie der Kurznachrichten nunmehr zum argumentativen Demokratiemanagement des neuen Ministers wird.
Politik als Theater, die einst kritisch gemeinte Bemerkung von Thomas Meyer, einem einst noch aufrichtigen sozialdemokratischen Politikwissenschaftler, ist mittlerweile zur – je nach Geschmack – belustigenden oder belastenden Realform der (nicht nur deutschen) Repräsentativdemokratie geworden. Die marktkonforme Demokratie von Angela Merkel droht, sich inmitten der medialen Kakophonie der selbst erklärten Expert:innen für die Eindämumng der Covid-19-Pandemie, die natürlich keinen prinzipiellen Widerspruch oder gar reflexiven Selbstzweifel dulden, in eine konformistische Marktdemokratie zu verwandeln, die nur noch gruselt. Es ist an der Zeit, den Schalter zu betätigen, bevor wie anno damals bei Ernie und Bert der Strom endgültig ausfällt, weil die Sicherung durchgebrannt ist. Ich kann den Schmorgeruch schon riechen.
Stand: 11.12.21
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