Februar 8, 2024

Unterwegs mit Mr. Corona oder ein perspektivischer Rückblick auf die Covid-19-Pandemie

Mit diesem Beitrag startet ein Projekt, das einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Es geht um nichts Geringeres als ein Versuch der Aufarbeitung der Covid-19-Pandemie aus der Perspektive des damaligen multimedial präsenten Sachverständigen und heutigen Bundesgesundheitsministers, Prof. Dr. Karl Lauterbach. Diese „Aufarbeitung“ kann eine institutionelle und systematische Aufarbeitung der Covid-19-Pandemie nicht ersetzen und will das auch nicht. Hierzu liegen bereits einige – hochoffzielle – Berichte vor, die an anderer Stelle gewürdigt werden (so etwa der Bericht des sog. Sachverständigenausschusses nach § 5 des IFSG oder die verschiedenen Berichte des Corona-Expertenrats der Ampelregierung). Oppositionelle Parteien haben angekündigt, entsprechende Untersuchungssausschüsse auf Bundesebene einzurichten.

Es geht auch nicht darum, die eher zivilgesellschaftlichen Aufarbeitungen der Covid-19-Pandemie kritisch zu rekonstruieren, die z.B. im (durchaus umstrittenen) sog. Corona-Ausschuss im Umfeld des in mittlerweile in Ungnade gefallenen Rechtsanwalts, Dr. Reiner Fuellmich, stattfanden; Fuellmich hat diesen ‚Corona-Ausschuss‘ mittlerweile verlassen müssen. Selbst wenn diese Einrichtungen verschwörungstheoretische Erklärungen der Covid-19-Pandemie bzw. ihrer Bearbeitung oder sogar Planung in die Welt setzen, genügt es nicht, sie einfach „links“ oder meinetwegen „rechts“ liegen zu lassen, wenn ein möglichst breites Bild der diskursiven Formation „Covid-19-Pandemie“ gewonnen werden soll. Doch darum geht es hier nicht. Es geht mit diesen Projekt eher darum, das mediale Phänomen und den Aufstieg des – unbestreitbar – medizinisch und gesundheitswissenschaftlich ausgewiesenen Karl Lauterbach zum „Mr. Corona“ zu verstehen und anhand seiner Medienpräsenz die mediale Verarbeitung der Covid-19-Pandemie zu rekonstruieren.

Dabei soll keineswegs die Person Karl Lauterbachs dämonisiert oder als gar hypermächtig dargestellt werden. Solche Formen der Auseinandersetzung münden stets darin, dass die an den Pranger gestellten Personen zu einem Haßobjekt werden, an denen dann Wut und Frust abreagiert werden können. Eine solche Herangehensweise verletzt nicht nur die Persönlichkeitsrechte, sondern kann für die betroffene Person brandgefährlich werden. Rechtsextreme habe mehrfach versucht, Karl Lauterbach zu entführen, sogar Mordanschläge wurden auf ihn geplant. Das ist abscheulich und zutiefst zu verurteilen. Zudem ist eine solche Dämonisierung einer aufgeklärten Auseinandersetzung mit der Covid-19-Pandemie und der entstehenden Covid-19-Diskursformation nicht förderlich, weil gemäß der Watzlawick’schen Kommunkationstheorie von der sachlichen auf die persönliche Ebene gewechselt, also eine Kommunikationsstörung begründet wird: die Kommunikation erstirbt und soziale Anomie tritt ein. Wenn hier also Karl Lauterbach mit seinen vielen Thesen, die er in medialen Statements hervorgebracht hat, in den analytischen Fokus genommen wird, dann allein aus dem Grund, den die taz seinerzeit in den Slogan packte: „Corona kann einpacken“ als Lauterbach zum Gesundheitsminister ernannt wurde.

Mit anderen Worten: Prof. Dr. Karl Lauterbach war während der Covid-19-Pandemie neben manch anderen zu Medienstars gehievten Wissenschaftler:innen (z.B. Christan Drosten, Melanie Brinkmann oder Hendrik Streeck) viel zu präsent, als dass er gerade im Kreuzfeld zwischen Wissenschaft und (Gesundheits-)Politik als wichtiger „Sprecher“ des Covid-19-Diskurses ignoriert werden könnte. Denn Karl Lauterbach war von Anfang an mit dabei: von der medialen Kritik und Delegitimierung seines (bislang) „geschätzten Kollegen“ und im weiteren Verlauf der Pandemie als Außenseiter und – noch schlimmer – Aussätzigen betrachteten Dr. Wolfgang Wodarg bis zur Entscheidung dafür, im Frühjahr 2022 die drakonischen Maßnahmen im Verein mit dem Bundesjustizminister, Dr. Marco Buschmann (FDP), auszusetzen, wenn auch ein bisschen widerwillig. Wenn es also einen Wissenschaftler und Politiker gibt, auf den die Bezeichnung „Mr. Corona“ zutrifft, dann auf den sozialdemokratischen Bundesgesundheitsminister, der – wohl als der erste in diesem Amt – wohl am meisten vom Fach versteht als alle seine Vorgänger zusammen. Dennoch – und das ist eine zentrale Leitfrage dieses Projekts – ist der professorale Karl Lauterbach nicht allwissend. Wo liegen die Grenzen der wissenschaflichen Evidenz seiner politischen Entscheidungen und wo beginnen die politischen Kuhhändel, die jeder Politiker „schlucken“ muss? Kann man zugleich guter und seriöser Wissenschaftler und verantwortungsbewusster Politiker sein? Auch wenn die Antwort von Karl Lauterbach zweifellos, „ja, man kann“, lauten wird, bedeutet das noch lange nicht, dass alle „Experten“ für die theoretische Reflexion von „Politikberatung“ dies so unproblematisch einschätzen (vgl. zu skeptischen Perspektiven: Schwartz/Scriba 2004; Weingart 2011; Gerlinger 2021; oder grundsätzlicher: Beck 1986; Giddens 1990; Altvater/Mahnkopf 1999).

Wie kann diese kritische Rekonstruktion eines Teils der Covid-19-Diskursformation gelingen? In einer politischen Öffentlichkeit, die (noch) aufgeklärt werden will und nicht einfach apriori als aufgeklärt deklariert wird, wenn „Expertenmeinungen“ in ihr medial verstärkt werden, kann das nur bedeuten, die politisch bedeutsamen und wirkungsstarken Aussagen von Prof. Dr. Karl Lauterbach eben jenen Prinzipien zu unterwerfen, die er selbst für sich beansprucht: nämlich evidenzbasiert zu argumentieren. Allerdings ist hier bereits eine kleine Warnung nötig. Denn was heißt eigentlich „evidenzbasiert“? Um die (politische) Strittigkeit selbst dieses so grundlegenden Prinzips zu verdeutlichen sind zwei grundlegende Vorbemerkungen bzw. allgemeinverständliche Ausführungen nötig, die zeigen, dass der Anspruch auf „Evidenzbasierung“ selbst politisch umstritten ist. Erstens gilt es zu klären, was „evidenzbasierte Medizin“ bzw. „evidenzbasierte Gesundheitspolitik“ eigentlich heißen kann. Karl Lauterbach selbst hatte auf seinem Blog während der Covid-19-Pandemie auf die wissenschaftlichen Grundlagen seiner Argumente hingewiesen, indem er Links zu wissenschaftlichen Studien gesetzt hatte. Mit dem Einzug in das Gesundheitsministerium ist diese Form der argumentativen Transparenz leider verschwunden, was ich an anderer Stelle bereits bedauert hatte.

Zweitens werde ich den Fall von Prof. Dr. Andreas Sönnichsen als Fallstudie rekonstruieren, die aufzeigt, wie ein – man muss es so formulieren – ausgezeichneter Vertreter der evidenzbasierten Medizin im deutschsprachigen Raum dem freien Fall des (politisch induzierten) Reputationsverlustes anheim gestellt wurde, weil er es wagte, öffentlich politisch nicht opportune Äußerungen über die Gefährlichkeit des Sars-Cov-2-Virus und der politischen Versuche, es einzudämmen in die Welt zu setzen. Dankenswerterweise hat Prof. Sönnichsen seine (leidvollen) Erfahrungen in einem sehr lesenswerten Buch kund getan (Sönnichsen 2023). Dieser zweite Schritt soll auch – gewissermaßen nebenbei – eine gedrängte Zusammenfassung des Verlaufs der Covid-19-Pandemie (vornehmlich in Deutschland) bereitstellen, auf dessen Grundlage dann die argumentative Kohärenz von „Mr. Corona“ erschlossen werden soll. Dabei wird die Position von Prof. Sönnichsen keineswegs „absolut“ gesetzt, sondern stets mit kritischem Blick auf vorliegende (unterstützende oder nicht-unterstützende) Studien kritisch dargestellt.

In einem dritten Schritt folgt zunächst die Darstellung und Würdigung der Tätigkeit unserer hauptsächlichen dramatis persona (i.e. KL) anhand der Darstellung seines – sofern öffentlich verfügbaren – politischen und wissenschaftlichen Werdegangs, bevor eine Chronik wichtiger Äußerungen und Aussagen anhand zahlreicher Talkshow- und Socia-Media-Posts erstellt werden soll. Im Anschluss daran werden die wichtigsten Aussagen von Prof. Dr. Karl Lauterbach vor dem Hintergrund der zu seiner Zeit verfügbaren empirischen Evidenz kritisch auf ihre Kohärenz und argumentative Validität überprüft. Dabei gilt es auch zu reflektieren, inwieweit seine auf wissenschaftliche Studien gestützten „Äußerungen“ medial popularisiert wurden, wie sich also ein – diskursanalytisch gesprochen – veritabler „Interdiskurs“ aufbaut, der zur Legitimierung und Selbstverständigung der politischen Öffentlichkeit und ihrer (zunehmend polarisierten) Strukturwandlung in Richtung auf einen „Devil-Shift“ beiträgt. Die Leithypothese des Projekts ist, dass im Covid-19-Interdiskus die wissenschaftlichen Aussagen in keinem kohärenten Verhältnis zu den politischen Aussagen gestanden haben und eine sehr selektive Form der „Übersetzung“ des wissenschaftlichen Diskurses in den politisch-öffentlichen (Inter-)Diskurs die politisch durchgeführten Maßnahmen legitimiert haben, sie aber keineswegs begründen können.

Fortsetzung folgt…

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