Nun ist es raus. Das lang erwartete Buch des Lockdown-Kritikers, ehemaligen SPD-Politikers (ich komme noch darauf zurück), dreifachen Facharztes und Gesundheitsaktivisten, Dr. Wolfgang Wodarg.
Es hat bereits nach wenigen Tagen die Spitze der „Hitliste“ der Spiegel-Besteller in der Rubrik, Sachbuch, errungen. Und wird bereits – bis ironischerweise auf die kapitalistischen virtuellen und realen Buchverlage – souverän ignoriert. Schon etwas merkwürdig.
Dabei würde man doch erwarten, dass allein sein Titel „Falsche Pandemien. Argumente gegen die Herrschaft der Angst“ den dominanten Diskurs einer globalen Pandemie herausfordert, ja geradezu provoziert. Darauf legt es Wodarg auch an – das merkt man mit jeder Zeile seines Buches.
Doch es geschieht nichts. Offziell seit zwei Wochen draußen und schon in der zweiten Auflage würde man doch erwarten, dass es die so Provozierten in der Luft zerreißen würden. Aber es ist geradezu gespenstige Stille darum. Kein DER SPIEGEL, keine DIE ZEIT, keine FAZ oder TAZ usw. fühlen sich offenbar provoziert oder – Befürworter von Wodarg hoffen es – bedroht von den Thesen des Politikers, Mediziners und Amtsarztes.
Solange diese mächtigen Akteure der politischen Öffenlichkeit sich dem Diskurs, den Habermas sich so gern ja als – zumindest im Prinzip oder dem Anspruch nach – herrschaftsfrei denkt, entziehen, macht es keinen Sinn, diesen zu simulieren. Auch ich werde das hier nicht tun. Die Kritiker müssen „ihren Wodarg“ schon selbst lesen und – wenn Sie wollen – argumentativ auseinandernehmen.
In jedem Fall ist diese tönende Stille hochgradig irritierend. Oder vielleicht einfach nur „irre“? Man würde ja vermuten, dass der Shit-Storm gegen den wortgewaltgen Kritiker der vielfältigen Maßnahmen in etwa so aussehen würde. „Irrer Typ, war ja klar“ oder „was erwartest Du von einem Spinner.“
Diese gespenstige Stille ist aber eigentlich nicht nur irre. Sie lärmt gewaltig. Offenbar wollen sich die klugen Feuilletons und Wissenschaftsjournalisten, von den professionellen Wissenschaftler:innen mal ganz zu schweigen, nicht – tja, was eigentlich – die „Finger verbrennen“ oder die „Finger schmutzig“ machen – Beides nichts Schönes
Die Thesen von Wodarg sind beißend und ziehen den Beschuldigten den – Sie lesen richtig – verfassungskonformen Boden unter den Füßen weg. Er sieht Naomi Kleins „Schockstrategie“ am Werk, quasi einen „Putsch von oben“ – komisch, dass da die von ihm so gescholtene Exekutive das gar nicht exekutiert. Hat er etwa unrecht? Oder wird er totgeschwiegen?
Wer das Buch gelesen hat, kann diese Entscheidung dafür, nicht zu reagieren, gut verstehen. Denn entweder hat er unrecht und seine Thesen sind brandgefährlich und sollten daher nicht weiter befördert werden oder aber er hat Recht (zumindest hier oder da) und auch dann ist es ein Verzicht auf eine Auseinandersetzung aus „Machtkalkül“, das nach Wodarg – in Anlehnung an den wohl geschätzten Soziologen Niklas Luhmann und seiner eigenen Erfahrung – die Politik reagiert. Immerhin wird bald gewählt.
Die Reaktion der Kritisierten ist also rational nachvollziehbar. Halt. Sie meinen, nicht? Wieso…Ach, so, ok. Wenn die Thesen brandgefährlich sind, warum werden sie dann nicht verboten oder wenigstens zerlegt? Immerhin ist sein Buch auf Platz 1 der Spiegel-Bestseller-Liste hoch katapultiert worden. Komisch ist das schon. Aber klar, es ist ein Diskurs, der – um auch hier wieder Luhmann zitieren zu wollen – nicht „anschlussfähig“ ist an die Kommunikation im politischen System selbst.
Alternativ könnte man auch den französischen Leidensgenossen (Pierre Bourdieu zufolge ist Soziologie bekanntlich ein „Kampfsport“) Niklas Luhmanns , Michel Foucault, hier bemühen und mit ihm feststellen, dass ein Diskurs auch seine „Grenzen“ hat, die nicht kommunizierbar sind. Vom herrschaftsfreien Diskurs, von dem Jürgen Habermas in seiner normativen Diskurstheorie träumt, sind die Kombattanten jedenfalls noch Parsec-Weiten entfernt.
Würde sich die Lektüre lohnen? Das müssen die Leser:innen schon selbst entscheiden. Wer allerdings meint, Wodarg hätte in allem unrecht, muss wohl auch die Schweinegrippe-Episode, durch deren Aufdeckung er – zurecht im Übrigen, das gestehen selbst die Medienblätter zu – international bekannt wurde und über die er im Buch beschreibt, ins Reich der Märchen verfrachten. Ignoranz ist ja auch eine Haltung.
Tja, Bürgerinnen und Bürger, wat nu? Kann nicht sein, was nicht sein darf? Oder verrennt sich Wodarg nun völlig? Ich werde die Antwort hier nicht exekutieren. Die 400 Seiten Lesen und dann Entscheiden müssen Sie schon selber. Da hilft nix. Sie können es natürlich auch ignorieren. Ist ja schließlich Fußball-EM. Mensch muss schon Prioritäten setzen.
Ach, übrigens, in seinem Buch startet Dr. Wolfgang Wodarg – soviel Spoiler darf sein – mit einer Episode aus dem März 2020 als ihm nach einem ZDF-Interview mit den Redakteuren von Frontal 21 ein „bekannter Journalist“ juristischen Beistand empfohlen habe, weil gegen ihn, Wodarg, eine Medienkampagne zur Zerstörung seines guten Rufes ausgerufen worden sei.
Warum ist das interessant? Schauen Sie doch mal, wann die diversen medialen Entlarvungsvideos von „Faktenchecker“-Redaktionen und verschiedenen Nachrichtenportale – inkl. desjenigen von DER WELT, das nun nicht als Merkel-freundlich gilt – über den „Pandemie-Leugner“ online gestellt wurden. Im Gegensatz zu Wodargs – harmlosen – 1,2-Minuten-Intervieweinspielung in der Frontal-21-Sendung, die mittlerweile verschwunden ist*, können Sie diese selbsterklärenden Aufklärungsvideos noch auf Youtube finden.
* Nachtrag, 19.09.21, das Video ist wieder erschienen – warum auch immer es eine zeitlang nicht aufzufinden war.
Viel Spaß beim Gruseln.