März 19, 2022

Business as usual oder Angststarre? Eine politische Polemik in emanzipatorischer Absicht zum Umgang der ‚politischen Linken‘ mit der COVID-19-Pandemie

Vorbemerkung: Bei diesem Text handelt es sich um einen Beitrag, den ich Mitte Dezember 2020, kurz nach Verabschiedung und Debatte der Erneuerung des Impfschutzgesetzes im Deutschen Bundestag und inmitten der „zweiten Welle“ geschrieben habe. Ich hatte den Text bislang nicht veröffentlicht – auch, das erwähne ich ganz offen, weil ich Sanktionierungen politischer oder sozialer Art befürchtete. Da wir uns mittlerweile seuchenepidemiologisch in die „endemische Phase“ der Corona-Pandemie(n) bewegen, scheint es möglich zu sein, diese „Polemik“ gegen eine „angstarrende politische Linke“, wie sie mir damals erschien und in eine politisch katastrophale Situation zu münden drohte, dass differenzierte Kritik pauschal und unreflektiert als „rechtspopulistisch“ oder auch „rechtsextrem“ gebrandmarkt würde (was zutraf), zu veröffentlichen. Mittlerweile hat in der politischen Linken ein Umdenken eingesetzt, dass im Rückblick zum Beispiel die „Zero-Covid“-Strategie als das bewertet wird, was sie epidemiologisch betrachtet von Anfang an war, bloßer Schmarrn. Insofern „getraue“ ich mich nun auch diesen Text zu publizieren, denn seine dort enthaltene Kritik – keine Fundamentalkritik im Übrigen – kann heute mit zahllosen reputierlichen Studien und Wissenschaftler-Argumenten gestützt werden. Ob sich freilich rückblickend etwas lernen lässt, und wenn ja, was, bleibt abzuwarten. Immerhin fühle ich mich ein wenig bestätigt in meiner damaligen polemischen Kritik. Wer überdies nicht glaubt, dass ich dies am 11.12.2020 verfasst habe, kann hier einen Screen-Shot meines Monitors sehen (Notizen-App in Mac OS), der es zumindest zu belegen versucht. Gute Erkenntnisse bei der Lektüre!

Die parlamentarische Demokratie in Deutschland befindet sich an einem Scheideweg. Im Angesicht einer erwarteten katastrophalen COVID-19-Pandemie hat die Bundesregierung über das Infektionsschutzgesetz (IfSchG) zahlreiche Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern zum Zweck des Gesundheitsschutzes von anderen Bürgerinnen und Bürgern ohne vorherige Diskussion im Parlament verabschiedet. Was eine parlamentarischen Debatte erforderlich gemacht hätte, wurde in einer beispiellosen Stunde der Exekutive seit dem Frühjahr dieses Jahres ohne große Rücksicht auf die parlamentarische Souveränität zur normierten Realität des Faktischen gemacht. Not macht eben auch politisch Erfinderisch.

Schien sich die Lage in den Sommermonaten mit einem Rückgang der Infektionszahlen zu beruhigen beziehungsweise zu normalisieren, setzte sich mit der (erwartbaren) so genannten „zweiten Welle“ der Pandemie eine erneute Stunde der Exekutive durch. Diese blieb diesmal aber jedoch nicht unwidersprochen. Das Parlament durfte jetzt mal kurz nach beziehungsweise kurz vor exekutiven Entscheidungen der Regierungsspitzen von Bund und Ländern mitdebattieren. Einen wesentlichen Einfluss auf den Lauf der Dinge hatte das allerdings nicht. Entsprechend heftig fiel die Kritik der marktliberalen FDP und der rechtspopulistischen AfD aus. Während die Erstere sich als die Stimme der Vernunft präsentierte, schwangen sich die Rechtspopulisten zum Retter von Demokratie und Grundgesetz vor einer Gesundheitsdiktatur auf. Wo ist die politische Linke, fragt man sich da verwundert?

Der Eindruck ist, sie bleibt beim Business as usual oder ist in einer Angststarre vor Corona und AfD gefangen. Gottseidank platzte einigen Linksliberalen im kritischen Feuilleton der Kragen, was aber im politischen linken Spektrum ohne jede spürbare Resonanz blieb. Wenn ich hier und im folgenden von politischen Linken spreche, meine ich die im Bundestag und Bundesländern vertretenen „linken“ Parteien, die sich in immer illusionärer werdenden Tagträumen zu einer rot – rot – grünen zukünftigen Bundesregierung zusammenfantasieren.

Business as usual: immer weiter mit der Transformation

In zahllosen Publikationen, Pamphleten und Artikeln war im Zuge der COVID – 19 Pandemie und ihren Maßnahmen davon die Rede, dass dass die Krise dafür genutzt werden müsste, die katastrophale kapitalistische Entwicklung in eine solidarische und ökologische Marktwirtschaft zu transformieren. Fiskalpolitisch müsse der Staat den Opfern der Covid-19-Maßnahmen finanziell zur Seite stehen und sozialpolitisch sollten die etwa Hartz IV-Sätze erhöht werden. Die Schuldenbremse ist ausgesetzt, jubilieren die Ökonomisten in der politischen Linken. Als wäre das schon die Transformation.

Gleichzeitig müsse die Transformation in eine grüne Ökonomie vorangetrieben werden. Der Green New Deal rückt für viele, vor allem grüne Strategen in erreichbare Nähe. Dass ein ökologischer Kapitalismus jedoch ein Widerspruch in sich selbst ist, ist aus dem kollektiven Gedächtnis der grünlinken Regierungsfetischisten verschwunden. Doch diese reformistischen Visionen von Sozialdemokraten, Grünen und auch Politiker*innen aus der Linkspartei haben mit einer Transformation der kapitalistischen Wirtschaftsweise reichlich wenig zu tun.

Und schlimmer noch: Sie gehen an den derzeitigen Sorgen, Ängsten und Problemen, mit denen sich viele Menschen in dieser Republik auseinander zu setzen haben, vorbei, weil sie im Wesentlichen Klientelpolitik sind. Die Krise verursacht nicht nur Kurzarbeit für Viele und den Verlust von Arbeit und Einkommen für nicht weniger Viele, sondern wird von interessierten Fraktionen des Kapitals auch genutzt, schon lange bestehende Transformationspläne für bestimmte Industrien (Industrie 4.0) und auch für eine ökologische Aufhübschung der kapitalistischen Marktwirtschaft durchzusetzen. Das wird Verlierer und Gewinner hervorbringen, von denen die politische Linke nicht profitieren wird, wenn sie sich zum Büttel derselben macht.

Selbst der Krankenhaussektor befindet sich in einer radikalen Transformation, die aber nicht darin besteht (wie manche Linke gern glauben oder hoffen mögen), das unliebsame Vergütungssystem (G-DRGs) abzuschaffen, sondern vielmehr die Krankenhauskapazitäten zu zentralisieren, zu reduzieren und weiter zu kommerzialisieren. Eine Strategie im übrigen, die mit der Verantwortung von Jens Spahn für das Gesundheitsministerium als mögliche Lösung schon lange in der Luft lag und im entsprechenden Expertendiskurs bereits lange konkretisiert wurde. Das Problem der politischen Linken ist folglich, dass sie zu weiten Teilen und im Hinblick auf begrüssungswerte Ideen sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit politisch immer zu spät kommt. Wieder einmal wird der kapitalismuskompatible Krisenkorporatismus von der politischen Linken mit der beginnenden Transformation des Kapitalismus verwechselt. Wer sollen aber deren politischen Träger sein? Schweigen. Die Umfragewerte der Parteien der politischen Linken für die nächste Bundestagswahl sind daher kaum überraschend katastrophal.

Während die Grünen von einer schwarz– grünen, neubürgerlichen Koalition auf der Bundesebene schwärmen und sich darauf vorbereiten, besteht die reale Gefahr, dass die Sozialdemokratie und die Partei DIE LINKE ähnlich wie in vielen europäischen Ländern vorher in die Bedeutungslosigkeit geschickt werden. Die Gründe sind vielfältig und keineswegs nur mit der derzeitigen Krise erklärbar. Eine strukturelle Ursache besteht freilich darin, dass diese klassischen Parteien immer noch einem heimlichen strategischen Leninismus anhaften, der paradoxerweise aufgrund der strategischen Desorientierung mit einem strukturellen Populismus und eine Entkopplung der Parteikader von der (potentiellen) Wählerbasis einhergeht. Die Bedürfnisse und (auch: abstrakten) Ängste des Wahlvolks werden ignoriert und ggf. als subjektive Fakten „denunziert“ und dann geleugnet.

Die Strategie einer leninistischen Avantgardepartei ist in der Realpolitik zwar oftmals der Anpassungspartei gewichen, aber still und heimlich folgen die Führungskader immer noch diesem Trugbild der strategischen Weitsicht. Jede moderne Partei orientiert sich in ihrer Identitätsbildung und Strategieumsetzung immer noch an leninistischen Prinzipien des – nunmehr – strategischen Zentralismus, im demokratischen oder besser polyarchischen Mantel der Stimmenmaximierung. Von einer Demokratisierung als Lebenselixir von (post-)modernen Parteien (auf der politischen Linken) kann man wirklich nicht sprechen, auch nicht mehr bei den Grünen.

Die strategische Desorientierung in den Führungskadern der linken Parteien – aber auch in vielen anderen Parteien – drückt sich folglich in unübersichtlichem Machtintrigen und Postengescharrere aus, die bis weit in die akademischen Vorfeldinstitutionen ausstrahlen. Dabei greifen die Folgen der Desorientierung weit aus. Die Politik greift in die Ökonomie und Wissenschaft ebenso über, wie die Ökonomie in Politik und Wissenschaft und die Wissenschaft in Politik und Ökonomie. Im Anschluss an eine kritische Systemtheorie ließe sich das als krisenhafter Prozess der generalisierten Entdifferenzierung bezeichnen, politökonomisch als ein Zusammenbruch einer hegemonialen gesellschaftlichen Regulationsweise und ihrer zunehmend autoritären Stabilisierung. Postdemokratie allenthalben.

Angststarre: der Geist steht „rechts“ – oder: was tun mit Covid-19?

Ein Teil der politischen Linken, und zwar jene Organisationen und Apparate, die das Bewegungselement des neuen Fürsten (wie Antonio Gramsci die Parteiform in Anlehnung an Niccolò Macchiavelli bezeichnete) darstellen und gewissermaßen als postmoderner cordon sanitaire parteipolitischer Ideologie– und Strategiebildung gelten können, beschäftigt sich intensiv mit den politischen, sozialen und ökonomischen Aspekten und Auswirkungen der globalen Pandemie. Soweit so gut.

Die politische Linke ist hier jedoch in einer wenig hilfreichen Angststarre gefangen. Die ungefähre Überzeugung eines Großteils der Parteikader und Bewegungsaktivisten von SPD, den Grünen und der Linken geht ungefähr so: eine grundlegende und – wenn überhaupt geäussert – nicht nur wachsweiche Kritik an den COVID – 19 Maßnahmen der Bundesregierung ist nicht opportun beziehungsweise politisch sinnvoll, weil erstens die gesundheitlich besonders betroffenen vulnerablen Gruppen von COVID-19 zentrale Schutzobjekte und damit potenzielle Wähler der politischen Linken darstellen. Hier gilt es bestenfalls – und das ist zweifellos wichtig – die sozioökonomischen Auswirkungen der Covid-19-Maßnahmen und Pandemie zu skandalisieren und um Besserung zu kämpfen.

Zweitens ermöglicht die Stabilisierung der Wirtschaft und der solidarische Schutz dieser vulnerablen Gruppen die politische Umsetzung einiger Maßnahmen zum Umbau des deutschen Wirtschaftsmodells auf eine sozial – ökologische Marktwirtschaft (siehe oben). Es ist so, als solle die „Krise“ genutzt werden, linke Inhalte umzusetzen, wobei geflissentlich übersehen wird, was an dieser Covid-19-Krise wirklich zu debattieren wäre.

Drittens ist eine harte Kritik an den Corona-Maßnahmen irrational, weil die etablierte Wissenschaft von der außerordentlichen Gefahr der COVID-19-Pandemie und den verfolgten Strategien zu ihrer Eindämmung konsensual überzeugt ist. Viertens schließlich ist eine Kritik politisch brandgefährlich, weil damit rechtspopulistische und rechtsextreme Verschwörungstheorien über die Ursachen und Zielsetzungen der (bei besonders mit ‚Aluhüten’ ausgestatteten Vertreter*innen dieser Weltanschauung verbreitetem Glauben einer geplanten) Pandemie gestärkt und damit ein Aufschwung rechtspopulistischer und rechtsextremer politischer Gruppierungen bewirkt werde.
Gegen einen solchen rationalen cordon sanitaire kann es wohl kaum vernünftige Einwände geben, oder?

Menschen müssen vor Gesundheitsgefahren ebenso wie vor sozioökonomischen Folgen geschützt werden. Hierzu ist tatsächlich eine neukeynesianische Krisenstrategie nötig. Leider ist die Welt und selbst das Pandemie-Geschehen komplexer als mancher Partei- oder Bewegungskader glaubt. Meines Erachtens lassen sich sehr wohl Argumente gegen dieses hermetische Gedankengebäude formulieren. Was ist, wenn der Ausgangspunkt der ganzen Maßnahmen wissenschaftlich schlecht begründet wäre? Das singen nicht nur verblendete Verschwörungstheoretiker von errichteten Barrikaden.

Um es deutlich herauszusagen: ich halte es für einen zentralen strategischen Fehler, die kritikwürdigen Formen und Zustände der COVID-19 Pandemie den marktliberalen und rechtspopulistischen Parteien zu überlassen. Nicht alle Kritikpunkte hinsichtlich der Einschätzung der Gefährlichkeit von COVID-19 und der in Gang gesetzten Maßnahmen sind unsinnig oder falsch. Es ist eine strategische Fehlentscheidung, die notwendige Kritik marktradikaler und rechtspopulistischer Parteien (von rechtsextremen ganz zu schweigen) mit einem Verzicht auf die Kritik der wissenschaftlichen Grundlagen der Identifizierung der COVID-19 Pandemie und der hiermit verbundenen Maßnahmen ihrer Bekämpfung zu verbinden.

Hiermit wird das politische Feld der Opposition völlig der Gestaltung durch marktliberale und rechtspopulistische Parteien überlassen. Schlimmer noch: eine zulässige und überzeugende wissenschaftliche Kritik an den Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie in Deutschland wird – wenn nicht totgeschwiegen und/oder auf Abstand gehalten, reflexhaft und in Konsequenz dieser stereotypischen Denkweise in die verschwörungstheoretische Ecke gestellt.
Damit bewirkt die politische Linke genau das, was sie angeblich vermeiden möchte: die Stärkung von Verschwörungstheorien.

Denn wenn die dominierenden politischen Narrative, die insbesondere die politische Kommunikation in der medialen Öffentlichkeit bestimmen, den Großteil der Bevölkerung aufgrund vielfältiger Widersprüche nicht überzeugen können, wendet sie sich alternativen Erzählungen zu. Wenn differenzierte Kritikpositionen als Verschwörungstheorie geschmäht werden, muss man sich nicht wundern, wenn (nicht nur einfach gestrickte) Menschen bei weiter fröhlichem Klaffen der offiziell übergangenen Widersprüche mit dem dominanten Krisennarrativ sich langsam simplen oder – nicht weniger problematisch – etwas komplizierteren Verschwörungstheorien einer „Weltregierung“ zuwenden. Die gesellschaftliche Polarisierung nimmt ihren Lauf. Am Ende verliert die parlamentarische Demokratie.

Das Validitätsproblem, oder: was misst eigentlich ein PCR-Test?

Diese These legt mir natürlich einen Begründungsanspruch auf, ganz abgesehen davon, dass es verständlich wäre, von dem Autor einen alternativen Strategieentwurf einzufordern. Letzteres kann ich natürlich nicht leisten – das zu behaupten oder zu verlangen, wäre – so oder so – anmaßend. Ich möchte mich stattdessen exemplarisch auf einige kritische Anmerkungen zur Validität des so genannten PCR-Tests beschränken, auch wenn das ganze Phänomen der COVID-19 Pandemie erheblich mehr Merkwürdigkeiten und Unklarheiten als nur diesen aufweist.

Dieses molekulargenetische Testverfahren ist nicht nur für die Ausrufung der globalen Pandemie, sondern auch für die Aufzeichnung ihrer empirischen Verlaufsform entscheidend – und offenbar für die Feststellung der Wirksamkeit von Impfstoffen im Rahmen von zulassungsrelevanten klinischen Studien. Ohne PCR-Tests wäre die erste, „real time observed pandemic“ (WHO-Chef), unsichtbar geblieben. Dies ist schon eine Besonderheit, die in der kritischen Öffentlichkeit kaum zu kritischer Reflexion anregt. Waren die Influenza-Pandemien früher retrospektive Berechnungen oder vielmehr „Hochrechnungen“, ist die Covid-19-Pandemie so real und medial präsent wie die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon. Das macht etwas mit Menschen. Angst ist das Wenigste, eine gestörte Risikokommunikation das Mindeste.

Dabei ist die Funktionsfähigkeit des PCR – Tests durchaus nicht unumstritten. Ganz im Gegenteil, seine Kritiker wie selbst die härtesten Vertreter der großen Phalanx von selbst erklärten medialen Faktencheckern über Verschwörungstheoretiker sind sich de facto einig, dass der PCR Test eher „zu“ sensibel ist. Gestritten wird um die politische Bewertung und um den Begriff der falsch-positiven Ergebnisse. In einer verdrehten Argumentationsweise behauptet beispielsweise das linke, ansonsten recht rührige, presseethische Organ des Volksverpetzers, der PCR Test würde keine falsch-positiven Ergebnisse zeigen, er wäre nur „zu sensibel“. Seine begriffsstutzige Dogmatik zeigt sich allerdings darin, dass die von verschiedenen Seiten formulierte Kritik am PCR– Test, ein positives Testergebnis zeige keine Infektiosität an und sei daher „falsch-positiv“, die von vielen Gesundheitswissenschaftlern geteilt wird, damit zurückgewiesen wird, ein positiver PCR Test (dessen Aussage über Infektiosität ja zur Debatte steht) sei nicht falsch-positiv, sondern eben positiv, wenn er anschlägt, allenfalls zu positiv. Folglich sei die Aussage, PCR Tests wären oft falsch-positiv, falsch.

Das ist nun aber gelinde gesagt wirklich übelste Wortklauberei, als würde in der politischen Öffentlichkeit ein positives Testergebnis nicht mit Infektionen gleichgesetzt und täglich zum Aufstehen von Radio, Fernsehen und Internet verbreitet. Erinnert sich noch jemand an die mit der rot-grünen Deregulierung der Finanzmärkte einsetzenden morgendlichen Börsenberichte? Dieses Morgenritual ist nun durch jenes neue der völlig oberflächlichen Beschreibung der Covid-19-Pandemie ersetzt worden. Diese Rituale hämmern einen Epochenbruch ins morgendliche Bewusstsein; der PCR-Test ist die Grundlage. Und genau hier setzen die Kritikerinnen des PCR-Test an. Was aber untersucht der PCR-Test denn nun wirklichlich?

Der PCR Test identifiziert – in der Tat relativ sicher – molekulargenetische Spuren und Fragmente des Sars-CoV-2-Virus in den jeweiligen Gewebeproben, die eingesandt wurden. Dabei gibt es Sars-CoV-2-spezifische und eher coronaspezifische Gensequenzen (E vs. N). Zu ihrer Identifizierung wird die Gewebeprobe mehrfach kopiert, man könnte auch sagen: verdichtet, vergrößert. Die Anzahl solcher Kopien wird als cT – Wert (copy treshhold) angegeben. In den USA und Frankreich gibt es Debatten um die „richtige“ Höhe dieses cT-Werts. In Deutschland: Fehlanzeige. Ab einem Wert von etwa 30 Kopien (cT – Wert = 30) gilt eine Gewebeprobe nur noch mit einer niedrigen Wahrscheinlichkeit als infektiös. Positive Werte, die mit einem cT-Wert von 35 und mehr gewonnen werden, sind praktisch in Bezug auf die unterstellte Infektiosität nutzlos.

Hieraus lassen sich zwei kritische Punkte festhalten. Erstens ist der PCR Test nicht in der Lage, eine Infektion festzustellen. Er ist zu Diagnostik ungeeignet, weil die Infektiosität eine Immunreaktion erfordert, die er nicht erkennen kann. Das hat nicht nur das US–amerikanische CDC zu Beginn der Pandemie auf seiner Webseite unmissverständlich dargestellt. Auch der Erfinder des PCR Tests für Sars-CoV-2, Professor Drosten, wies in einem Statement aus dem Jahre 2014 darauf hin, dass eine Infektiosität bei einem positiven Testergebnis mit einem PCR Test nicht in jedem Fall gegeben sei. An der grundlegenden Technik von PCR-Tests hat sich seitdem nichts geändert.

Zweitens ist bis heute unbekannt, welcher cT– Wert und welche Genabschnitte von Sars-CoV-2 (spezifische vs. allgemeine Bereiche) von den privaten Laboren in Deutschland (und in vielen anderen Ländern) für die Identifizierung eines molekularen Fragments von Sars-CoV-2 verwandt werden. Selbst bei einer Isolierung einer spezifischen Gensequenz ist lediglich die Kreuzreaktivität ausgeschaltet, nicht jedoch die cT-Messproblematik. Dass diese besteht, offenbarte jüngst eine Publikation von französischen Forschern. Eine (recht wahrscheinliche) Mutation des Virus könnte zudem ggf. auch die Spezifität der Gendiagnostik stören; in diesem Fall müsste auf allgemeine Kennzeichen von Coronaviren getestet werden, außer die neuartige Gensequenz führt zu einer entsprechenden Modifikation des Testverfahrens (wie es im Prinzip bei den jährlich neu zusammengestellten Influenza-Impfstoffen praktiziert wird). Die Kritik am PCR-Test bedeutet im übrigen nicht, dass schwere Verläufe von COVID-19 geleugnet werden. Eine solche (politische) Unterstellung ist zwar weit verbreitet, zeugt aber nicht gerade von fachlicher Expertise.

Die Kritik am PCR Test, um das noch mal glasklar zu formulieren, besteht nicht darin, zu behaupten, dass es COVID-19 nicht gibt. Präzise formuliert beruht eine wissenschaftlich begründbare Kritik am PCR Test darin, dass dieser nicht COVID-19, sondern Sars-CoV-2 identifiziert. COVID-19 ist die Erkrankung, Sars-CoV-2 ist das die Erkrankung unter bestimmten Umständen auslösende Virus. Verlässliche Daten zu Erkrankungen fehlen wegen der Unsicherheit des PCR-Tests ebenso wie differenzierte Daten zu den Testergebnissen mit PCR-Verfahren. Dass Viren beziehungsweise Erreger weit verbreitet sein können, ohne eine Erkrankung auszulösen, sollte spätestens seit der Entdeckung des Tuberkel-Erregers, der die Tuberkulose auslösen kann, durch Robert Koch zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt sein, auch wenn dieser Erreger kein Virus ist. Nach dessen Entdeckung stellte man in epidemiologischen Studien erstaunt fest, dass bis zu 70 Prozent der untersuchten Probanden den Erreger in sich trugen, ohne krank zu sein. Das Konstrukt von sog. asymptomatischen Kranken ist folglich hochgradig problematisch, wenn es unterstellt, man könne krank sein, ohne jemals während der angeblichen Infektion irgendwelche Symptome gehabt zu haben (die Weitergabe von Virenpartikeln ist damit nicht ausgeschlossen). Ob Letzteres der Fall ist, bleibt auf der RKI-Aggregatdatenebene (bzw. dem Dashboard) der morgendlichen Krisenbeschreibungen unbekannt bzw. unberichtet.

Natürlich ist es möglich, dass der PCR-Test bei einer Person in Bezug auf den klinischen Verlauf zu früh oder zu spät gemacht wird, wobei Letzteres wohl kaum relevant sein dürfte, so dass zu einem Zeitpunkt zu wenig Viruslast zur Identifizierung vorhanden ist, von Anwendungsfehlern ganz zu schweigen (die dann falsch-negative Testergebnisse produzieren und die – merkwürdig – sofort überall erwähnt werden). Da aber nicht bekannt ist, wer wann, wo, wie und in welchem Zustand getestet wurde, ist keinesfalls ausgeschlossen, dass ein derzeit unbestimmbarer Anteil der positiv Getesteten in Deutschland (und ich rede nur von Deutschland) nicht infiziert und daher auch nicht krank im immunologischen Sinne ist, „obwohl ein Virus über die Schleimhaut gerutscht“ (Christian Drosten) ist. Dass diese Einschränkung des PCR Tests besteht, kann man auch daran erkennen, dass sowohl die bekannte Heinsberg-Studie des Virologen Streeck, der umfassende slowakische Bevölkerungstest als auch die derzeit laufende Prävalenzstudie des Helmholtz-Zentrums auf der Identifizierung von Antikörpern und nicht von Virusfragmenten anhand molekularer PCR-Schnelltests beruhen. Eine Infektion zeigt sich (wenn auch nicht immer) im Nachhinein in dem Vorhandensein von Antikörpern (oder Antigenen) im Blut des betroffenen Menschen. PCR Tests versprechen aber, „frühzeitig“ eine Gefahr anzuzeigen. Sie sind die diagnostischen Mittel der molekularmedizinischen Präventivpolitik, aber eben ggf. „zu“ genau, um wirklichen diagnostischen Zwecken (post infectionem) genügen zu können.

Wieso ist ein nicht-valider PCR-Test eigentlich ein Problem? Man könnte ja behaupten, ein neuer Test ist zu Beginn sehr unsicher und ungenau. Zugestanden. Das Problem eines unzuverlässigen, d.h. mit einem zu hohen cT-Wert durchgeführten, PCR-Tests ist, dass die Entscheidungsgrundlagen der Politik „schwimmen“. Es ist öffentlich nicht bekannt, mit welchem cT-Wert die PCR-Tests durchgeführt werden. Die Neuinfektionsrate bzw. die täglichen Neuinfektionszahlen könnten also falsch sein (und da ist die Frage der Testhäufigkeiten noch gar nicht berücksichtigt; außerdem sollte eher von „Melderate“ statt „Neuinfektionsrate“ gesprochen werden, wie auch das ECDC oder Prof. Schrappe meint). Es ist theoretisch denkbar, dass die Neuinfektionsraten – die mit einem positiven PCR-Test „ermittelt“ werden – zu hoch angesetzt sind, aber dennoch schwere Covid-19-Verläufe stattfinden. Wäre dem so, was nicht bekannt ist und seuchenpolitisch nicht als relevant erachtet wird, wären vielleicht ganz andere Maßnahmen nötig als ein allgemeiner Lockdown. Allerdings würde dann das Sars-CoV-2-Virus seinen „Vorgängern“ Sars 2003 und Mers 2012 mehr ähneln, als manchen Impfstoffentwicklern lieb wäre. Ob es so ist, weiß ich nicht, aber es wäre politisch töricht, diese Hypothese nur aufgrund schlechter Argumente und panischer Angstzustände abzulehnen. Es lohnt sich also, darüber nachzudenken. Komplexe Fragen erfordern komplexe Antworten, nichtssagende Kennzahlen sind bei Entscheidern beliebt, aber keineswegs hilfreich, wie Colin Crouch nachdrücklich gezeigt hat.

Auf viele andere Fragen, wie zum Beispiel der Bedeutung der Sterblichkeit von Covid-19-Patienten bei verschiedenen Altersgruppen, der sozioökonomischen Differenzierung von COVID-19-Erkrankungen oder Maßnahmen bedingter Belastungen, der besonderen Belastung von Ärztinnen und Pflegekräften in der Intensivmedizin unter DRG-Bedingungen sowie der Angemessenheit vieler Grundrechte beschränkender Maßnahmen oder gar der Nützlichkeit und Sicherheit von Impfstoffen kann ich an dieser Stelle nicht eingehen, ganz zu schweigen von internationalen Vergleichen, die im Mittelpunkt der kritischen Auseinandersetzung stehen müssten. Das würde jeweils eine eigenständige Auseinandersetzung erfordern. Es sollte aber auch so klar geworden sein, dass eine Nicht-Auseinandersetzung der politischen Linken mit den Widersprüchen und Ungereimtheiten der COVID-19-Pandemie im Allgemeinen und dem PCR-Test im Besonderen keine Lösung ist. Die hierauf folgenden Einschränkungen von Grundrechten sind zu wichtig, als dass man sie getrost dem neoliberalen Mainstream oder dem rechten Rand überlassen sollte. Ein hyperaktiver Karl Lauterbach genügt als gesundheitspolitisches Aushängeschild der politischen Linken auf keinen Fall.

11.12.2020 – Zurück zur Startseite

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